„Der Wohnimmobilien-Markt braucht disruptive Kräfte“

Nils T. Kohle ist CEO der OWNR Technologies Inc. und deren Tochtergesellschaften in Luxemburg, Deutschland und UK. Im Gespräch mit Andreas Jamm berichtet er über die Digitalisierung und Veränderung des Wohnimmobilien-Marktes.

Zur Person:

Nils T. Kohle, Jahrgang 1976 und geboren in Bremen, ist seit 2017 Gründer und CEO der OWNR Technologies Inc. und deren Tochtergesellschaften in Luxemburg, Deutschland und UK. Nach einem Studium im Investmentbanking startete er schnell in die Selbstständigkeit. Er gründete eine Digitalagentur, die in 2012 mit 96 Mitarbeitern verkauft wurde. Danach folgten mehrere Start-up-Beteiligungen und Gründungen, unter anderen in den Bereichen Food-Delivery und Spracherkennung. Vor dem Start bei OWNR war er als Berater unter anderem im Immobilienbereich als Global Marketing Director für Engel&Völkers und bei der SwissLife Immopulse in Zürich tätig. Die Erfahrung aus diesen Projekten zeigten ihm, welche Bedürfnisse Kunden im Bereich der Wohnimmobilien haben. Zur Befriedigung dieser ist das Geschäftsmodell von OWNR entstanden, welches er seit 2018 aktiv von Hamburg umsetzt.

Andreas Jamm: Was ist Ihr persönliches Verständnis von Disruption? Inwieweit entspricht die Unternehmensentwicklung von OWNR diesem Disruptions-Verständnis?

Nils T. Kohle: Disruption heißt für mich, auf einer grünen Wiese zu starten und erst einmal im eigenen Branchenumfeld zu prüfen, was die tatsächlichen „Pain-Points“ der Käufer, der Nutzer und der Klienten sind. Basierend auf dem Zuhören bei den Problemen der Zielgruppe kann man dann erörtern, was eigentlich in der aktuellen, klassischen Behandlung dieser Themen – oder in den damit verbundenen Prozessen – falsch läuft. Darauf aufbauend kann dann letztendlich ein neues, disruptives Geschäftsmodell entwickelt werden. Disruption ist aus meiner Sicht per se nie das Ziel, sondern ein Nebeneffekt, wenn man eine Herausforderung der anvisierten Zielgruppe unabhängig und neuartig denken darf und anschließend lösen kann.

Unser OWNR Geschäftsmodell ist disruptiv. Allerdings war das nicht der Selbstzweck, sondern es ging um einige Herausforderungen durch die Unzufriedenheit unserer Zielgruppe. In unserem Fall waren es die Otto-Normalverbraucher in den Großstädten, die auf der Suche nach einer passenden Wohnung oder einem Haus sind. Diese echte Unzufriedenheit mit den heutigen Prozessen bei der Suche und dem gegebenenfalls folgenden Kauf eines Objektes habe ich unter anderem in meiner Zeit als Global Marketing Director bei Engel&Völkers und bei der Digitalisierung der Immobilientochter der SwissLife, Immopulse, in der Schweiz erfahren. Die Herausforderungen, die es von OWNR zu lösen galt, waren deshalb folgende:

Erstens: In den Großstädten bekommt man kaum noch Mietwohnungen im mittleren Segment, das heißt 60-100 m², 2-3 Zimmer mit mittlerer und guter Lage. Es herrscht ein immens hoher Nachfragedruck und dieser führt zu sehr hohen Preisen bei maximal durchschnittlicher Qualität. Die Frage lautete also: Wie bekommt man ein größeres Angebot und bessere Qualität in den Markt?

Zweitens: Nach diversen Studien wollen 87 % der Deutschen gerne kaufen, 90 % können dies nicht, weil ihnen heute das Eigenkapital fehlt, auch bedingt durch hohe Preise und noch höhere Nebenkosten, wie Grunderwerbsteuer, Maklercourtage, etc. Je nach Stadt liegt der Eigenkapitalanteil bei bis zu 35 % der Gesamtkosten. Dies führte uns zu der Frage: Wie kann man einem Durchschnittsverdiener den Traum vom Besitz einer eigenen Immobilie erfüllen?

Und zu guter Letzt: Immobilienmakler haben eine ständig wachsende Abhängigkeit von den großen Immobilienportalen wie beispielsweise Immobilienscout, Immowelt und Immonet und müssen dafür jedes Jahr mehr Geld bezahlen bei kaum höherer Leistung. Der Grund ist die fast monopolistische Struktur des Anbietermarktes von Wohnimmobilien-Anzeigenportalen, auf dem beispielsweise Immobilienscout über 70 % Marktanteil hat. Die Frage, wie man Transparenz in den privaten Immobilienmarkt auf Seiten der Käufer, Verkäufer und auch der Makler bringt, war eine zusätzliche Frage, die wir mit unserem Geschäftsmodell beantworten wollten.

OWNR entstand in mehr als zwei Jahren Vorarbeit dadurch, dass wir ein neuartiges Geschäftsmodell gesucht haben, welches diese Herausforderungen und Fragestellungen löst. Insbesondere unter der Prämisse, dass das Modell sozial, aber ebenfalls finanziell erfolgreich sein soll.

Andreas Jamm: Wann muss Ihrer Meinung nach ein Unternehmer disruptiv mit seinem Geschäftsmodell umgehen? Muss erst eine offensichtliche Krise kommen, bevor man sich bewegt und das Unternehmen neu erfindet?

Nils T. Kohle: Für ein gewachsenes Unternehmen ist es sehr schwierig, disruptiv zu sein. Ich persönliche denke, dass dies nur in zwei Fällen funktioniert.

Zum einen, wenn das Unternehmen extrem unter Druck steht, weil sich der Markt schneller verändert als das Unternehmen sein Geschäftsmodell mittelfristig anpassen kann. Netflix musste sich beispielsweise von dem Versand von Videos lösen, weil es langfristig unprofitabel war und entwickelte sich zum marktführenden globalen Streaming-Dienst.

Unternehmen müssen auch dann in die Veränderungen gehen, wenn beispielsweise Start-Ups sukzessive das eigene Geschäftsmodell gefährden und damit neue Wettbewerber aufkommen, die deutliche Kostenvorteile haben.

Im ersten Fall wird mit hoher Wahrscheinlichkeit erst in der Krise reagiert, das heißt, als letztes Mittel wird versucht, das Unternehmen neu zu erfinden und aufzustellen. Dieses funktioniert dann leider oftmals nicht mehr rechtzeitig, da solche Veränderungen wesentlich mehr Zeit benötigen, gerade in einem gewachsenen Unternehmen.

Im zweiten Fall kann man noch sehr gut planen und aktiv steuern. Hier sind dann auch vielfältige Möglichkeiten zur disruptiven Veränderung des Geschäftsmodells möglich, zum einen über die ausgelagerte Neuentwicklung des eigenen Geschäftsmodells in eigene Start-Ups, wie beispielsweise in Form der Company Incubation, meint den Aufbau von Start-Ups außerhalb des Unternehmens, aber mit entsprechendem Knowhow und Kapital des Unternehmens. Zum anderen über die aktive Beteiligung an Unternehmen mit neuen, disruptiven Geschäftsmodellen im eigenen Wettbewerbsumfeld. Dies erfolgt oftmals über die Bereitstellung von Corporate Venture Capital in der Zusammenarbeit mit klassischen Risikokapitalgebern. Ein gutes Beispiel ist hier auch der Hightech Gründerfonds, an dem sich eine Vielzahl alteingesessener Unternehmen finanziell beteiligt hat.

Andreas Jamm: Wie stark hat die Transformation, bzw. Disruption Ihre „Branche“, Ihr Ecosystem und Ihr Geschäftsmodell gewandelt?

Nils T. Kohle: Der Wohnimmobilien-Markt braucht disruptive Kräfte, denn der gesamte Markt funktioniert zum größten Teil noch immer, wie vor 30, 50 und 80 Jahren.

Mit der Einführung des Bestellerprinzip im Bereich „Mieten“ ist ein kleinerer Teil des Immobilien-Marktes 2015 innerhalb von kürzester Zeit massiv verändert worden. Das Bestellerprinzip hat lediglich die vorherige Festlegung von 2,5 Monatsmieten Maklerprovision bei Unterzeichnung des Mietvertrags, zahlbar durch den Mieter in ein allgemein gültiges Verfahren nach dem Prinzip „Es zahlt die Person, die etwas bestellt“ verändert.

Diese eher unscheinbare rechtliche Neuauslegung hat dazu geführt, dass bereits mit der Ankündigung der Einführung des Bestellerprinzips, also circa 1,5 Jahre vor der Inkraftsetzung, mehr als ein Dutzend Start-Ups auf einmal die Mietvermittlung mit Fixpreisen angeboten hat, zahlbar durch den Vermieter. Dies führte mit dem Start des Gesetzes zu einer sofortigen Verringerung der Courtage von den ursprünglichen 2,5 Monatsmieten zahlbar durch den neuen Mieter auf ca. 500 EUR im Schnitt als Festpreis, zahlbar durch den Besteller – meistens den Vermieter, der sich die Arbeit ersparen wollte einen Vermieter selber zu suchen.

Durch diese Änderung hat sich der Markt auf der Anbieterseite komplett verändert und die übriggebliebenen Anbieter, wie unter anderem McMakler oder Maklaro sind heute am Markt etabliert, haben sich aber sukzessive im weiteren, viel relevanteren Kaufmarkt versucht zu etablieren, gerade weil es dort festgelegte, sehr großzügige Provisionen gibt. Die gesetzliche Änderung hat also zu einer deutlichen Preissenkung geführt, auf deren Basis nur noch jene Anbieter profitabel operieren können, die eine möglichst stark digitalisierte Abwicklung ermöglichen. Dieses Beispiel einer verbraucherfreundlichen Gesetzesänderung wird nun mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls bei der Maklerprovision im Verkauf von Immobilien umgesetzt, wie von Ministerin Barley bereits angekündigt (mein Kommentar dazu hier).

Das bedeutet, dass in Zukunft voraussichtlich auch derjenige die Maklerprovision zahlen muss, der den Makler beauftragt. Diese Änderung betrifft dann den größten Teil des privaten Immobilienmarktes und wird für die circa 30.000 Makler in Deutschland zu einer echten Herausforderung, weil sie ihr Geschäftsmodell komplett neu aufsetzen müssen, um mit den dann neuen Wettbewerbern, die parallel entstehen, mithalten zu können. Das OWNR Geschäftsmodell ist genau auf diese Arten der Veränderung hin entwickelt worden und wird sich entsprechend einfach dahingehend anpassen.

Andreas Jamm: Disruption wird in der Regel mit der Verfügbarkeit und dem Einsatz neuer Technologien in Verbindung gebracht. Welche Technologien oder andere fundamentalen Umstände sind für Sie ausschlaggebend? Was waren sonst Ihrer Meinung nach relevante Treiber des Wandels?

Nils T. Kohle: Im Bereich der Wohnimmobilien gibt es zwei hauptsächliche Treiber für Veränderungen: Die gesetzliche Grundlage. Sobald eine fixe „Zwangs-“ Provision abgeschafft wird, die nicht derjenige bezahlt, der beauftragt hat, wird sich der Markt massiv verändern. Und natürlich ist auch die Technologie besser geworden. Sehr viele Prozesse werden vollständig digitalisiert, angefangen bei der Bewertung von Objekten bis hin zur gesamten Abwicklung und Dokumentation eines Kaufs, beziehungsweise Verkaufs. Es sind sehr viele Unternehmen entstanden, die einzelne Prozesse sehr stark digitalisiert auf einer Plattform zu äußerst günstigen monatlichen Preisen anbieten. Hier sieht man, dass viele der Prozesse, die bislang nur von einer Person genutzt worden sind, mittels neuer Technologien einer sehr großen Gruppe von Nutzern mit gleichem Interesse zur Verfügung gestellt werden können. Das hat in diesem Markt nur dann eine Grenze, wenn es um den Bereich der notariellen Beurkundungen oder auch der entsprechenden Eintragung geht. Hier ist die öffentliche Hand noch nicht so weit.

Andreas Jamm: Können Sie Unternehmern drei Ratschläge oder Tipps geben, die Ihnen helfen Ihre Disruption, bzw. digitale Transformation erfolgreich anzugehen?

Nils T. Kohle: Man muss seine Zielgruppe kennen und genau definieren können, welche Anforderungen und Probleme zu lösen sind. Erst dadurch erhält man die Sicherheit, dass man sich wirklich um den Kern des Problems der Kunden kümmert.

Es braucht Freiräume außerhalb eines Unternehmens, in dem eine Mischung aus Mitarbeitern, die Veränderungen wollen und Ideen haben, zusammen mit erfahrenen, externen Personen, die Unternehmen aufbauen können, an neuen Geschäftsmodelle arbeiten können. Dadurch können interne Widerstände und auch Diskussionen, die gerade am Anfang eines disruptiven Wandels zu stark bremsen können, umgangen werden.

Legen Sie fest, wie Sie sich verändern wollen: Durch den eigenen Aufbau neuer Geschäftsmodelle, beispielsweise in einem Inkubator, oder besser durch die Akquisition oder Beteiligung an neuen Unternehmen mit entsprechendem Kapital.

Man muss sich generell bewusst machen, dass ein Aufsetzen eines neuen Geschäftsmodells sehr viel Kapital benötigt und viele kleinere Projekte ohne Erfolg abgeschrieben werden müssen. Das ist die Norm und keine Ausnahme. Aber als Unternehmer sollte eine gewisse Risikobereitschaft ohnehin gegeben sein.

Andreas Jamm: Lieber Nils T. Kohle, wir danken für das Interview!

Über OWNR:

OWNR denkt das Wohnen neu und bietet mit Wohnraum-Leasing eine echte Alternative zum Mietmarkt in Metropolregionen. Mit dem Leasing-Prinzip, welches die meisten Menschen aus dem Automarkt kennen, revolutioniert OWNR den Weg zur Traumimmobilie in der Großstadt. Der Prozess ist sehr einfach. OWNR präsentiert unter www.ownr.eu fast alle Kaufimmobilien in Hamburg, bewertet diese mit Hilfe von Algorithmen und berechnen darauf basierend eine individuelle Leasingrate. Diese hängt von der Mindestlaufzeit, der Ausstattung und dem aktuellen Zustand des Objektes ab. Jedes Objekt wird komplett renoviert und inklusive einer neuen Küche übergeben. Sobald ein Leasingnehmer ein Objekt gefunden hat, wird ein Leasingvertrag unterzeichnet und im Anschluss erwirbt OWNR das Objekt, renoviert dieses und übergibt es an den Leasingnehmer. Nach Ablauf der Mindestlaufzeit hat dieser eine festgeschriebene Kaufoption für das Objekt. Damit vereinfacht OWNR den Weg zum Immobilieneigentum, da durch OWNR der Eigenkapitalanteil an der Finanzierung sinkt – ein Grundbedürfnis der Nutzer. Mit dem Modell des Wohnraumleasings ermöglichen wir Miet-Interessenten eine deutliche Vergrößerung des existierenden Mietmarktes durch zu leasende Kaufobjekte und potenziellen Käufern das Wohnen auf Probe. OWNR besteht aus einem Team mit langjähriger Führungserfahrung im Finanz-, Immobilien-, Digital- und Consulting-Bereich und hat Büros in Hamburg und London. Mit diesem Team hat OWNR in den letzten zwei Jahren konsequent fast alle Geschäftsprozesse in der Customer Journey von der Suche bis zum Einzug digitalisiert. Nach dem Einzug der ersten Leasingnehmer erfolgt mittlerweile die Skalierung des Models und der Roll-out in weitere Großstädte.

OWNR – Du suchst. Wir kaufen. Du wohnst.

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