“Wir haben unser Geschäftsmodell einer vollkommenen Disruption unterzogen”

Peter Lauterbach, CEO der SPORTTOTAL AG, berichtet im Interview mit Andreas Jamm über die Notwendigkeit, sich auf neue, digitale Spiel- und Geschäftsfelder einzulassen und gibt hilfreiche Tipps, wie Unternehmensentscheider dem digitalen Wandel begegnen sollten.

Digitalisierung, Sportübertragung, Disruption

Die SPORTTOTAL AG ist ein führendes Medien- und Kommunikationshaus im Sport- und Automotive-Umfeld, welches sich durch eine mutige Transformation erfolgreich markt- und zukunftsfähig aufgestellt hat.

Zur Person:

Peter Lauterbach, geboren am 30. August 1976 in Darmstadt, ist seit 2011 CEO der SPORTTOTAL AG, ehemals _wige MEDIA AG, mit Sitz in Köln. 2003 machte sich Lauterbach, der über zehn Jahre für den Pay-TV-Sender Sky, ehemals Premiere, als Redakteur und Moderator vor allem in der Formel 1 arbeitete, mit seinem eigenen Unternehmen selbstständig, zunächst P4P Productions GmbH, später ByLauterbach GmbH, jeweils in München. Mit der Übernahme durch die _wige MEDIA AG 2011 wechselte Lauterbach in den Vorstand des Unternehmens, dem er heute vorsitzt. Ende 2016 gründete Lauterbach die sporttotal.tv GmbH als 100-Prozent-Tochter der AG. Sie überträgt mithilfe einer innovativen Kameratechnik vollautomatisch Amateursport im Internet.

Andreas Jamm: Wie bewerten Sie das Thema Disruption für sich persönlich und im Kontext Ihres Unternehmens? Können Sie dem Thema Disruption auch etwas Positives abgewinnen?

Peter Lauterbach: Disruption ist in unserem Fall viel mehr Chance als Gefahr, weil wir ganz grundsätzlich im Produkt noch das Gleiche tun wie zuvor auch: wir übertragen Sport. Wir haben nur den Weg dahin verändert. Das war in einem margenschwachen Markt für uns die einzige Chance, daher ist für uns Disruption absolut heilende Medizin – und ausschließlich Chance. Disruption bedeutet für uns das Ersetzen eines Geschäftsmodells, nämlich der klassischen Medienproduktion inklusive eigener Hardware und Dry-Hire-Geschäft, durch automatisierte Übertragungstechnologien, die in einer eigenen Plattform mündet, mit dem Aufbau eigener Reichweiten und der Vermarktung eben dieser Reichweiten, also der Umwandlung wachsender Dimensionen in Werbegelder.

Andreas Jamm: Disruption als Bedrohung wie auch Lösung wird vielfach als schicksalhaft bzw. unausweichlich dargestellt. Wann muss Ihrer Meinung nach ein Unternehmer disruptiv mit seinem Geschäftsmodell umgehen? Muss erst eine offensichtliche Krise kommen, bevor man sich bewegt und das Unternehmen neu erfindet?

Peter Lauterbach: Im Falle der _wige Media AG (heute: SPORTTOTAL AG) war sicherlich die Krise mit ausschlaggebend, dass wir uns dem Wandel und dem digitalen Transformationsdruck gnadenlos ehrlich stellen mussten. Auf der Produktionsbranche (TV- & Sportproduktion) lastet derzeit durch neue Marktakteure und neue technische Lösungen (Streaming-Dienste etc.) insgesamt ein hoher Veränderungsdruck. Wir haben insbesondere im Jahr 2016 verstanden, dass unser altes _wige-Modell nicht mehr langfristig erfolgreich sein kann. Als klassischer technischer Dienstleister von Commodity Services hat man einen hohen Kapitalbedarf bei gleichzeitig sehr geringen Margen. Hier haben wir den Hebel angesetzt und unser Geschäftsmodell strategisch komplett überdacht. Heute sind wir ein anderes Unternehmen, das klassischen Infrastrukturausbau mit den Stärken eines digitalen Geschäftsmodells im Sinne einer hohen Skalierbarkeit intelligent miteinander verbindet – wir sprechen intern gerne von einem „hybriden Geschäftsmodell“.

Andreas Jamm: Disruption wird in der Regel mit der Verfügbarkeit und dem Einsatz neuer Technologie in Verbindung gebracht. Welche Technologien (Internet, Mobile, Appifizierung, 3D, …) oder andere fundamental neuen Lösungskonzepte waren oder sind ausschlaggebend für Ihre Unternehmenstransformation und die Transformation Ihrer Branche? Was waren sonst Ihrer Meinung nach relevante Treiber des Wandels?

Peter Lauterbach: Der Ausbau des mobilen Internets ist sicherlich der Transformationstreiber unserer Zeit. Immer mehr B2C-Transaktionen werden heutzutage über das mobile Internet abgewickelt; und zwar in einem Maße, wie es noch vor 10 Jahren gänzlich unmöglich erschien. Die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle wurde über „Mobile Apps“ dadurch noch einmal exponentiell beschleunigt. Für unser Unternehmen spielten mehrere Treiber des Wandels eine Rolle: Zum einen war es die Entwicklung einer Kamera-Hard-/Software, die zu einer vollautomatisierten Produktion und Erkennung von Schwarmverhalten und Bewegungsmustern fähig ist – wir haben als erstes Unternehmen erkannt, dass diese neue Kameratechnologie im Sportbereich einen großen Mehrwert darstellen kann und nutzen die Technologie nun für die Produktion von Sport-Content, der bis dato nicht professionell visibel gemacht wurde. Vollautomatisierte Produktionsverfahren werden in Zukunft die TV-Branche sicherlich weiter disruptieren – nicht nur im Anwendungsbereich Sport. Ein weiterer Treiber des Wandels ist der bereits beschriebene Wandel im Konsumentenverhalten durch den stetigen Ausbau des mobilen Internets. Konsumenten schauen Sportereignisse bzw. die Highlights von Sportereignissen immer häufiger via Internet; und zwar mobil – auf dem Weg zur Arbeit in der Bahn, in der 5-Minutenpause auf dem Schulhof oder beim Gespräch mit dem Kollegen während der Mittagspause. Diesen Content den Konsumenten zur Verfügung zu stellen – und zwar als Content-Owner – war die Idee hinter unserer Transformation. Der Amateurfußball, der bis dahin noch nicht medialisiert wurde, war hierbei unser Eintritt in den Markt; weitere Sportarten, wie z. B. Hockey, sind in der Pilotierungsphase.

Andreas Jamm: Wie stark hat die Transformation, bzw. Disruption Ihre „Branche“, Ihr Ecosystem und Ihr Geschäftsmodell gewandelt?

Peter Lauterbach: Unser Geschäftsmodell wurde durch die Transformation einer vollkommenen Disruption unterzogen – das alte Geschäftsmodell der bis dahin der _wige Media AG unterstellten Geschäftseinheiten basierte fast ausschließlich auf einem technischen Dienstleistermodell und Projektgeschäft. Die Gründung des Inhouse-Startups „sporttotal.tv“ war eine bewusste Abkehr von diesem Modell. Zentral war der Aufbau von Content-Ownership, die über die reine Content-Produktion für andere Unternehmen hinausgeht. Der Aufbau einer digitalen Distributions- und Vermarktungsplattform war ein weiterer logischer Schritt. Das Ecosystem der heutigen SPORTTOTAL AG ist hierdurch ebenfalls ein anderes – allein aufgrund der Tatsache, dass wir nun kein reines B2B-Unternehmen mehr sind, sondern unser Plattform-Angebot auf Endkunden ausrichten müssen. Darüber hinaus wächst das Unternehmen SPORTTOTAL AG stärker aus der klassischen TV-Produktionsbranche heraus und verstärkt seine Transaktionen und Geschäftsbeziehungen in die digitale IT-Branche, wie Cloud Services, IT-Schnittstellenmanagement, Digital Advertising, aber auch in die Sportbranche, wie Verbände, Vereine, Ligen etc.

Andreas Jamm: Unternehmer verweisen gerne auf Ihr existierendes Innovationsmanagement und die laufende Optimierung Ihrer Dienste und Produkte, um Ihre Marktberechtigung auch für die Zukunft zu rechtfertigen. Reicht das an Struktur und Vorgehen Ihrer Meinung nach aus? Welche Strukturen und Prozesse sind notwendig, um die Disruption der bisherigen Business-Logik souverän zu meistern?

Peter Lauterbach: Disruption bedeutet den Ausbruch aus existierenden Strukturen: Innovationsmanagement und die inkrementelle Verbesserung von Produkten ist ein absolutes Muss für Unternehmen, am Markt langfristig erfolgreich zu sein. Dies wird das Unternehmen allerdings nicht vor fundamentalen disruptiven Branchenumwälzungen schützen. In unserem Fall haben wir es aufgrund des steigenden Margendrucks in der TV-Produktionsbranche als sinnvoll erachtet, über unser 2016 gegründetes Inhouse-Startup „sporttotal.tv“ erste Pilotprojekte zu entwickeln. In 2018 öffnen wir zudem ein Digital Lab in Berlin, wo wir neue digitale Produkte rund um sporttotal.tv programmieren und weiterentwickeln. Geleitet wird diese wichtige Einheit von Kazar Masood, der zuletzt als Director of Technology & Operation bei Viacom International Media Networks tätig war. Eine Personalie, die vielleicht auch für unseren disruptiven Wandel steht.

Andreas Jamm: Der Wechsel auf ein anderes Geschäftsmodell bedeutet häufig auch, dass damit kulturelle, personelle, und technologische Veränderungen im Unternehmen einhergehen. Welchen Herausforderungen standen Sie gegenüber und mit welchen Lösungsansätzen haben Sie diese gemeistert?

Peter Lauterbach: Das Wichtigste ist in meinen Augen, die eigenen Kollegen mitzunehmen. Ohne sie geht nichts, nur wenn du die Mitarbeiter überzeugen kannst, hat das Thema überhaupt eine Chance. Bei uns sind das in erster Linie Aufsichtsrat und Führungskräfte. Sie müssen verstehen, warum ich auf einmal Dinge sein lassen möchte, für die das Unternehmen jahrzehntelang stand. Da halten sie dich im ersten Moment vielleicht für verrückt. Aber im Grunde geht es darum, genau an dieser Stelle Überzeugungstäter zu sein, sie kommunikativ mitzunehmen, mit Fakten zu agieren. Daraus resultierend muss der Change-Prozess im gesamten Unternehmen gestartet und von den Führungskräften vorgelebt werden. Auf technologischer Seite gab es für uns kein wirkliches Change, da wir vorher keine digitalen Plattformen im Besitz hatten. Wir hatten ganz normale Dry-Hire-Technik, die zu guten Ergebnissen geführt hat, aber keinen USP im Markt bedeutete.

Andreas Jamm: Können Sie Unternehmern drei ergänzende Ratschläge oder Tipps geben, die Ihnen helfen Ihre Disuption, bzw. digitale Transformation erfolgreich anzugehen?

Peter Lauterbach: Eigentlich ist es relativ einfach: Beim Blick auf die eigenen Geschäftszahlen wird jedem leidenschaftlichen Manager auffallen, was in seinem Geschäftsmodell funktioniert, mit überproportional hohen Magen, und was nicht. Nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, kann ich nur jedem empfehlen, sich auf das zu verlassen, was er da sieht. Mein unbedingter Rat wäre, die Unternehmens-Jetons auf die Wachstumsfelder zu setzen und eben keine Angst davor zu haben, sich von einem möglicherweise liebgewonnenen Alltag zu trennen. Es darf in meinen Augen nicht darum gehen, Vergangenheit zu verwalten, sondern sich wirklich zu trauen, erfolgreichen Ansätzen, die man in seinen Zahlen erkennt, unternehmerisch zu folgen. Parallel dazu ist es ganz wichtig, die Mitarbeiter vom Change zu überzeugen, sie mit Mut auszustatten, den neuen Weg zu gehen, immer im Blick, dass die anderen Kollegen aus der vermeintlich älteren Welt sich nicht abgehängt fühlen und ihren Wert für das Unternehmen begreifen. Erfahrungen sind ein riesiges Gut.

Zur SPORTTOTAL AG

Die SPORTTOTAL AG, ehemals _wige MEDIA AG, ist ein im Sport- und Automotive-Umfeld führendes Medien- und Kommunikationshaus. Unter dem Markendach SPORTTOTAL, das fünf Tochtergesellschaften umfasst, werden weitreichende Dienstleistungen in den Bereichen Livestreaming, Content Produktion und Marketing, Eventrealisation, Sponsoring sowie Ausstattung von Sportstätten mit Medientechnik bedient.

Mit aktuell drei Standorten (Köln, München, Stuttgart) ist die SPORTTOTAL AG als technischer sowie redaktioneller Dienstleister und Partner für zahlreiche Sport-Großveranstaltungen, Verbände (u.a. DFB) und Unternehmen wie Allianz, Hyundai, Deutsche Post, Telekom, Axel Springer, Porsche und Red Bull im ganzjährigen Einsatz. Mehr Infos unter www.sporttotal.com

Als Partner führender Sportveranstalter, großer Verbände und Marken ist das Unternehmen seit 1979 im Einsatz. Die Geschichte der _wige MEDIA AG erzählt von besonderen Ideen und technischen Innovationen in der Welt der TV-Übertragung. Die größten Sportereignisse der Welt, wie Olympische Spiele, Fußball-Weltmeisterschaften oder Formel-1-Rennen, durfte _wige über Jahrzehnte mitgestalten und erlebbar machen – als Broadcaster, Spezialist für Content-Produktion sowie Organisator und Vermarkter.

Seit 2017 firmiert _wige als SPORTTOTAL AG. Der neue Name unterstreicht die Ausrichtung sowie den Kernbereich stärker als zuvor. Als Anbieter digitaler Produkte, Content-Spezialist für Unternehmen und TV-Sender, Vermarkter und Koordinator von Events oder technischer Ausstatter ganzer Sportstätten ist die SPORTTOTAL AG ein verlässlicher und zukunftsorientierter Partner.

Der Umsatz im abgeschlossenen Geschäftsjahr 2016 betrug knapp 60 Millionen Euro. Die Mitarbeiterzahl liegt bei etwa 110.

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